Ein spiritueller Hurrikan:

Erinnerungen an Vern Harper

 

(von Shinzen Young am 16. Mai 2019, übersetzt von Sabine Heggemann)

 

               (Foto v.l.: Vern Harper, Har-Prakash Khalsa, und Shinzen Young)

 

 

Wie einige von Ihnen wissen, habe ich inzwischen seit vielen Jahren die Ehre einige wundervolle Verbindungen zur Gemeinde der amerikanischen Ureinwohner zu pflegen. Auf der Grundlage dessen habe ich schon viel über die Beziehung zwischen den Bräuchen nordamerikanischer Ureinwohner und buddhistischer Meditation gesprochen und geschrieben. An diesem Wochenende erreichte mich die traurige Nachricht, dass der angesehene Cree Elder Vern Harper, einer meiner Freunde aus dieser Gemeinde amerikanischer Ureinwohner, durch das Tor des Westens trat. In Anlehnung an die charakteristische Ausdrucksweise der amerikanischen Ureinwohner, hat ein menschliches Wesen seine Aufgabe erfüllt, so wie die Sonne ihre Aufgabe erfüllt hat, wenn sie im Westen untergeht.

 

So wie bei vielen amerikanischen Ureinwohners war Vern's Leben voller Mühsal und Verluste, aber dank seines intensiven Seins, eingebunden in Zeremonien, wurde all sein Elend in Purifikation umgewandelt.

 

Er war einer jener Menschen, mit dem ich nicht viele Worte brauchte. Meistens saßen wir nur zusammen, in einer wissenden und unausgesprochenen Verbindung durch Leerheit.

 

Für viele Jahre war die Teilnahme an einer Schwitzhütten-Zeremonie mit Vern eine optionale Besonderheit meiner kanadischen Retreats. Das Bild, dass Sie oben sehen, ist bei einer dieser "Sweats" aufgenommen worden. Der Mann in der Mitte ist Har-Prakash Khalsa, der meinen Haupt- YouTubekanal kreiert hat, Expand-Contract, und der, zusammen mit seiner Familie, der Ontario-Gemeinde sowohl als Lehrer und Künstler dient.

 

Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um Vern's Leben zu ehren, indem ich ein paar Erinnerungen aufrufe, die es in unserer langen Beziehung gegeben hat.

 

Vern war, was die Lakota Indianer einen Heyoka nennen. Dieser Begriff wird im Englischen manchmal als ."gegensätzlich" oder "Donnerclown" übersetzt.

 

Wie es schon der Name ausdrückt, sind Heyokas humorvolle Menschen, die einen göttlichen Ruf erhalten, um als heilige Handlung die Rolle der Gegenseite im Universum auszufüllen. (In den alten Tagen sind sie z.B. rückwärts in den Krieg geritten). Vern war, soweit ich weiß, der einzige Nicht-Lakota, der jemals offiziell die Einweihung zur Aufnahme in die Lakota Heyoka Society erhalten hat. Sein Mentor war niemand anderes als der berühmte (und, wenn Sie das FBI fragen, unrühmliche) Leonard Crow Dog. Laut Vern ließen die Behörden Leonard irgendwann aus dem Gefängnis frei, weil ständig mechanische Ausrüstung kaputt ging und Pläne fehlschlugen, wenn er in der Nähe war. Ich kann das natürlich nicht bestätigen, aber ich muss zugeben, dass es eine großartige Geschichte ist. Und ich kann bestätigen, dass es immer diese Atmosphäre von heiligem Chaos um Vern herum gab.

 

Ich erinnere mich daran, dass er einer Gruppe meiner Schülerinnen und Schüler gesagt hat, in einem fast besessenem Ton, "Ihr Leute seid ein Haufen Weicheier, und ich will nicht mehr, dass ihr hierherkommt!" Ich hatte das verstanden, begriff aber, dass es meinen Schülerinnen und Schülern nicht so ging. Ich musste es ihnen erklären. Wenn ein Heyoka so spricht, bedeutet das genau das Gegenteil: "Ich bin beeindruckt von eurem Mut und ihr seid hier immer herzlich willkommen." Und meine Schülerinnen und Schüler hatten Mut bewiesen. Vern's Schwitzhütten sind recht herausfordernd. Es gab in der Tat einen sehr bekannten Spruch in der Gemeinschaft der Ureinwohner Torontos: "Burn with Vern" (Anm. der Übers.: Gesprochen wird es "Börn wis Vörn" - i.S.v. "brenne mit Vern.)

 

Ich erinnere mich an eine andere Gelegenheit, in der ich eine kulturelle Übersetzung machen musste. Bevor wir in die Schwitzhütte gingen, bat Vern all meine Schülerinnen und Schüler für ihn zu beten, da ihm in wenigen Monaten etwas Herausforderndes bevorstehen würde und er bräuchte all die Unterstützung, die sie ihm geben könnten. Er würde vom Stamm der Lakota offiziell für seine Verdienste in der Gemeinde geehrt werden. Ich sah, dass meine Schülerinnen und Schüler die Verbindung nicht verstanden. Was hat eine offizielle Ehrung damit zu tun eine Herausforderung zu bestehen? Ich erklärte es. Während der Sun Dance - Zeremonie werden Menschen auf verschiedenen Art und Weise gepierct. Die Spektakulärste (die Sie vielleicht in dem Film "A Man Called Horse" gesehen haben) ist, an dem eigenen Fleisch an einer Schwarzpappel aufgehängt zu werden, bis das Fleisch reißt und man auf den Boden fällt. Manchmal erhält eine Person die Ehre auf die Art und Weise gepierct zu werden, da er besondere Verdienste für die Gemeinschaft geleistet hat.

 

Wie Sie sich vielleicht vorstellen können, war Vern wirklich ein harter Hund. Er ist eingekerkert worden, hat den Krieg in Korea miterlebt, ist systematisch gefoltert worden, und hat zu einer Zeit seinen Lebensunterhalt als Boxer bestritten, unter dem Spitznamen Hurricane Harper. Aufgrund des Spitznamens hat er immer eine starke spirituelle Verbindung zu dem berühmten US Boxer Hurricane Carter gefühlt. Tatsächlich, so hat er mir einmal erzählt, erschien ihm Hurricane Carter einmal im Gefängnis, als er wirklich deprimiert und hoffnungslos war, in Form einer geistigen Erscheinung, die ihn so aus dem Negativitätsloch gezogen hat.

 

Apropos Boxen. Das letzte Mal sah ich Vern vor ein paar Jahren. Jeff Warren und ich hatten ihn zu einem edlen chinesischen Essen in diesem Restaurant im Torontoer Hafenviertel. Vern, der wie ich meine, zu der Zeit schon in seinen 80ern war, dass am Tag zuvor, als er mit den öffentlichen Verkehrsmitteln in Toronto unterwegs war, ein junger Typ dort war, der sich aufgeführt hätte, wie ein A...loch - die Fahrgäste beleidigend usw. Vern knöpfte ihn sich vor - schlug ihn mit einem Schlag k.o.! Jeff und ich konnten nicht aufhören zu lachen.

 

Zu anderen Gelegenheiten erinnerte er sich daran, wie er Barrikaden des FBIs umging, um Gewehre für die American Indian Movement zu beschaffen. Wie ich schon sagte,- ein harter Knochen.

 

Als Heyoka, hatte Vern eine besondere Beziehng zu Spinnen. Sie sehen sein Spinnennetz - Tatoo auf dem Foto oben. Tatsächlich hatte er Spinnen auf fast all seinen Dingen. Sie Spinne ist eine der üblichen Trickster -Figuren in der spirituellen Welt der nordamerikansichen Ureinwohner. (Die anderen beiden sind der Rabe im Nordosten und der Kojote fast überall). Bei den Lakota heißt die Spinne Inktomi. Inktomi hat einige interessante kulturelle Links. In Bezug auf das moderne Informationszeitalter kann man sagen, Inktomi war ein früher Browser , der eine signifikante Rolle in der Entwicklung des Internets gespielt hat. Es wurde nach dem Trickster-Gott der Lakota benannt, da es im Netz umherkriechen konnte und größere Gegenspieler durch Gerissenheit und List bezwingen konnte.

 

Einmal, als Vern auf einem Flughafen war, sah ein Mann aus Afrika den Spinnenaufkleber auf seinem Gepäck und verstand umgehend den Hintergrund, da der Spinnen - Trickster auch in der westafrikanischen Religion unter dem Namen Anansi einen Archetyp darstellt. Anansi wurde zu den Amerikaners gebracht und wurde so zu einem Teil der afro-amerikanischen Folklore in Form von "Tante Nancy-Geschichten."

 

Ich liebe dieser Art von Dingen, bei denen wir die Verbundenheit der Welt sehen können. Die Kultur der amerikanischen Ureinwohner, die Kultur der Ureinwohner von Westafrika, und Computerwissenschaften, die uns das Informationszeitalter gebracht haben eine Verbindung. Verbindungen wie diese sind oberflächliche Reflektionen von etwas Tieferem. Leerheit ist die omphalos mundi, der universale Verbindungspunkt. Vern ist aus unserem Sichtfeld verschwunden und ich vermisse ihn. Aber tief unten, da gibt es eine Verbindung, die niemals getrennt werden kann. Es ist dieselbe Verbindung, die ich zu meiner Mutter habe, zu meinem Bruder, und all den anderen geliebten Menschen, die ich verloren habe. Diese Verbindung ist ewig ... diamatartig.

 

Aho Mitakuye Oyas’in.

 

 

Wenn Sie der Familie von Vern helfen möchten, dann können Sie das hier tun.